Dreiklang des Daseins

Dreiklang des Daseins

(Ein Beitrag von Christian Triebel)

Das Dasein hält dreierlei Glück bereit, was es zu entdecken gilt: Den Segen unserer Herkunft, die Freiheit der Selbsterkenntnis und die Liebe des Einklangs mit dem Leben.“

Als Dreierlei des Daseins bezeichne ich eine Idee, die als Basis oder seelische Grundlage für ein bewusstes und sinnerfülltes Leben gelten kann. Sie basiert auf drei gedanklichen Bereichen, die auf unser persönliches Dasein wirken, ob wir dies wahrnehmen oder nicht. Ich verstehe hierbei den Begriff Glück als ein Segen, der dann zu uns kommen und wirken kann, wenn wir uns allen drei Ebenen bewusst gewidmet und eine annehmende und demütige Haltung zu ihrem „Miteinander-Wirken“ in uns gereift ist. Dies beschreibt eine schrittweise Gewahrwerdung und Integration von Bereichen unseres Lebens, die unsere Seele in Bezug auf Vergangenheit und Gegenwart, die gefühlte Freiheit von scheinbar einschränkenden Aspekten und den generellen Möglichkeiten unserer Wahrnehmung und unserer Urteilskraft reifen lässt. Dies geschieht uns einfach in seiner eigenen Geschwindigkeit, was uns erst gewahr wird, wenn wir uns vertrauensvoll dem überlassen, was uns hält. In Begleitung eines Lehrers oder zuweilen auch ohne. Je offener wir sind und je eher wir den Mut haben „hinzuschauen“ und auch Gefühlen in uns gewahr zu werden, die uns Angst machen oder erschaudern lassen, desto eher kann das Leben in uns Platz nehmen und unsere eigene Wahrheit findet uns, ganz von allein. Unsere Widerstände verschwinden. Einsicht, Frieden, Lebendigkeit und Güte finden uns, wenn wir uns davon berühren lassen. Wir spüren immer mehr, was stimmig ist und was die richtige Haltung in Bezug auf unsere Umwelt, unsere Beziehungen und unser Dasein ist.

Die drei Bereiche sind:

1. Das Glück der Herkunft – Ist die annehmende, demütige Haltung gegenüber dem, woher wir kommen. In erster Linie geht es um das Verhältnis zu unseren Eltern, inwieweit sie für uns emotional da sein konnten, ob sie physisch anwesend waren und was sie uns in Bezug auf das Leben für Grundbausteine und Grundannahmen mitgegeben haben. All das, was für uns Zuhause bedeutet. Wenn wir verstehen, dass alle daraus erwachsenden psychischen Dynamiken das Material darstellen an dem wir wachsen und reifen konnten, dann gelingt uns der Schritt in ein unabhängiges eigenes Leben, in dem wir erwachsen sein und allein stehen können. D.h. uns selbst mit eigener Lebendigkeit und Lebenssinn im Dasein zu verankern. In zweiter Hinsicht geht es auch um den Segen und Lebenskraft all unserer Ahnen, die uns erst zuteil wird, wenn wir ihnen mit Achtung und Würde „begegnen“. Alles was geschehen ist, hatte seinen guten Grund und letztendlich auch den Sinn unserer eigenen seelischen und gedanklichen Reifung.

2. Das Glück der offenen Perspektive im Selbst – ist die Einsicht unseres erwachsenen Selbst, dass unsere Sicht auf das Leben aus unserem bisherigen Sein gereift ist. Dazu gehört, dass sie nur eine Perspektive unter vielen ist. Jeder Mensch hat seine eigene Perspektive auf das Dasein und sieht den eigenen wahren Anteil an dem was tatsächlich ist. Kein Mensch kann die ganze Wahrheit sehen, was heißen würde alle möglichen Perspektiven gleichzeitig zu haben. Jedoch ist unsere Perspektive keine starre feste Perspektive, sondern sie ist dem Prozess einer Weitung unterzogen. Wenn wir im Laufe unseres Lebens über Empathie und der Praxis von Achtsamkeit verinnerlicht haben, dass unsere Perspektive auf dem beruht, was uns unsere Eltern mitgaben und letztendlich auch auf dem, was wir selbst als für uns wahr und falsch erkannt haben, dann wissen wir auch, dass alle Phänomene des Daseins von verschiedenen Perspektiven aus betrachtet werden können und in Relation zueinander stehen. Wir lernen, dass die Beschaffenheit der Dinge, die wir sehen und erkennen elementar von unserem Bild, was wir uns von ihnen machen, abhängig ist. Mit dem Glück unserer Herkunft bemerken wir die gedankliche Freiheit von Glaubenssätzen und Grundannahmen. Wir können in Einklang mit unserer eigenen Perspektive auf die Dinge und unserer eigenen Wahrheit kommen.

3. Das Glück der Lebendigkeit – ist das tiefe Vertrauen, dass wir im Lebendigen eingebettet sind. Es gibt etwas, was uns innerlich führt und auf was wir bedingungslos vertrauen können. Dazu müssen wir unser Bild von einer optimalen Version unseres Ichs und damit verbundene gedankliche Vorstellungen, Konzepte, Träume und Pläne vom Leben tatsächlich gehen lassen und uns jedem Moment des Daseins anheimgeben. Dort ist Lebendigkeit. Dort ist Frieden. Dort ist Lebensfluss. Wenn wir die Schönheit des Momentes urteilsfrei betrachten und fühlen können, dann finden wir das Glück, nach dem sich unsere Seele sehnt. Wir können dies erst dann erkennen, wenn wir dem Glück der Herkunft und dem Glück der Perspektive in uns genügend Raum gegeben haben. Dann verstehen wir, dass wir Teil des Lebens sind, dass es eine Qualität im Leben gibt, mit der wir synchron gehen und dem wir uns bewusst überlassen können. D.h. vor allem die Kontrolle an diese Instanz im Leben abzugeben. Ich nenne sie Lebensfluss. Und ihre Essenz ist Liebe.

Niemand hat wirklich jemals eine frei Wahl. Wir sind in dem, aus dem wir erwachsen sind, eingebettet. Wir können jedoch zu einem zunehmenden Grad unsere Perspektive auf alle Aspekte unseres Daseins frei wählen. Unser Bild bleibt veränderlich und damit in unserer Macht, alle weltlichen Phänomene entspringen aus der Gnade der Lebendigkeit, deren fester Teil wir sind.
Je eher wir in den allgegenwärtigen Fluss des Lebens eintauchen und uns von ihm mitnehmen lassen, desto lebendiger werden wir. Je eher wir verstehen, dass wir nichts wirklich kontrollieren, sondern nur unsere Haltung dazu verändern können, desto leichter werden wir. Hingabe ist keine Aufgabe, obwohl sie sich oft so anfühlen mag. Sie ist ein inneres Geschehen, welche aus unserem seelischen Erkennen sprießt, tatsächlich wie eine Blüte sich dem Frühling hingibt.

Je eher wir der Vergangenheit ihren guten Platz in uns geben können, desto eher entsteht Raum für das, was in uns Platz nehmen möchte. Unser Selbst. In der indischen Philosophie ist dies der Atman, der Teil des großen Brahman ist. Wenn wir uns dieser Verbindung gewahr werden, die wir mit allen anderen Wesen teilen, entsteht Raum für das Gute, der Einklang mit dem Lebendigen, in uns. Das, was mit dem Leben schon immer in uns fließt. Die Liebe zum Dasein, welches alle Lebensphänomene einschließt, selbst jene, die es verhindern wollen oder ihm entgegenstehen.

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@ Foto von Khira Rudolph